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Dialog und Kritik

Anmerkungen zum palästinensisch-deutschen Dialog über Theater und Theaterpädagogik vom 28. Oktober bis 2. November 2013 in Bethlehem, Dar al Kalima University College Von Herwig Lewy erschienen in der Zeitschrift für Theaterpädagogik / April 2014

In Kooperation mit der Kunsthochschule Dar al Kalima in Bethlehem ruft Klaus Hoffmann vom Arbeitskreis Kirche und Theater zusammen mit Andreas Poppe vom Institut für Theaterpädagogik der Hochschule Osnabrück seit 2011 einen deutsch-palästinensischen Dialog für Theater und Theaterpädagogik ins Leben. Dem Grundsatz folgend, Theater als Medium des Wandels und der Entwicklung zu begreifen, gilt es, an neuen Curricula für Theaterpädagogik zu arbeiten, die insbesondere für interkulturelle Zusammenhänge mit sozialen und entwicklungsbezogenen Aufgaben gemacht sind. Problematisch ist dabei allerdings das erklärte Ziel einer „zivilgesellschaftlichen Einmischung" auf der Ebene „künstlerischer und transkultureller Intervention". Diese Schwierigkeit wurde beim dritten Netzwerktreffen zwischen dem 28. Oktober und dem 2. November 2013 in Bethlehem deutlich.

Mit einer Bestandsaufnahme aus Sicht der palästinensischen Autonomiebehörde in Ramallah haben Mahmoud Eid (Bildungsministerium) und Ma'moun al Sheikh (Ministerium für Kultur) die Konferenz eingeleitet. In seinem Referat über das Schultheater zwischen Realität und Erwartungen machte Eid zunächst die israelische Besatzung seit 1967 für dessen Unterdrückung verantwortlich. Analog sah al Sheikh den Grund für die erst allmähliche Entwicklung des Theaters in Palästina in der Katastrophe der Vertreibung und der Landnahme durch den Zionismus und Imperialismus seit 1948. Dass es sich hierbei offenkundig um einen - oft als bloßes Narrativ missverstandenen -Topos der Suche nach Verantwortung für die palästinensische Misere auf Seiten Israels zu Gunsten der eigenen gesellschaftlichen Kohärenz handelt, wurde in Eids Analyse der Gegenwart relevant. Als man 1994 das Heft in die Hand bekam, wurden Veränderungen geplant, doch musste Eid eingestehen, dass sich die Lage gegenwärtig noch immer schwierig gestalte: Es fehle an qualifizierten Lehrkräften, die den Lernenden die einfachsten Theaterfähigkeiten vermitteln. Im Curriculum sei nicht genügend Zeit vorgesehen, um theaterpraktisch zu arbeiten. Ferner fehle es an Bewusstsein für die Wichtigkeit von Theater zur Ausprägung der Persönlichkeit. Die anschließende Diskussion hob deshalb gleich auf die theaterpädagogisch-strukturelle Dialogebene ab.

Von Seiten der Kunsthochschule Dar al Kalima erkundigte man sich nach der angefragten Kooperation mit dem Bildungsministerium.

Hintergrund ist der im Rahmen des palästeninsisch-deutschen Dialoges ausgearbeitete Curriculum für einen B.A.-Studiengang Theaterpädagogik, der nicht nur eine transkulturelle Vernetzung zwischen Lingen und Bethlehem zum Ziel hat, sondern in erster Linie den von Eid aufgezählten Mängeln nachzukommen sucht. In medias res gingen die Streitpunkte zwischen den kulturpolitischen Playern um die Anzahl der Mathematik- und Physikstunden im Verhältnis zur Relevanz eines Schulfaches Theater. Zentral aber wurde auch die Frage nach einem Stipendienprogramm für Studierende und das damit verbundene Problem des Aufenthalts zu Studienzwecken im Ausland (z.B. Tunesien) diskutiert. Als großes Problem hatte man dabei die Abwanderung junger Leute längst erkannt. Von Seiten des Dar al Kalima Colleges ging es um die Verteidigung eigener Ausbildungsstrukturen im Land. Mit Blick auf das Bild vom Schneeballeffekt sollte es gelingen Absolventen den beruflichen Anschluss zu ermöglichen.

Doch nicht nur von Seiten der Regierungsvertreter erntete man eine zurückhaltend-skeptische Haltung. Viele palästinensische Studierende trauten sich anfangs kaum in den Saal. Als zu sperrig erwies sich der Fachausdruck „Theaterpädagogik". Eine Reihe von Vorträgen seitens der deutschen Delegation sollten diese Skrupel aus der Welt zu schaffen helfen. Um die Anfangsgründe des Faches bemühte sich Andreas Poppe. Marianne Streisand gab Einblick in Ansätze und Forschungsmethoden des Studienfaches Theaterpädagogik. Und welche hermeneutischen Konsequenzen theaterpraktisches Denken auch für eine gewöhnliche Unterrichtsstunde haben kann, erklärte Florian Vaßen im Rückgriff auf Brecht und das Konzept der Zuschauerkunst. Romi Domkowsky dagegen legte Datenmaterial in erheblichem Umfang vor, um den gesellschaftlichen Nutzen theaterpädagogischen Arbeitens in Schulen zu begründen. Dies kam der Strukturdebatte zugute. Marina Barham, Generaldirektorin des Al-Harah-Theaters in Beet Jala, unterstrich die dringende Notwendigkeit solcher Erhebungen auch für Palästina. Man könne so auch nachweislich über den eigenen (Existenz-)Zweck aufklären. Diesen brachte Barham in ihrem eigenen Beitrag auf den Punkt. Sie suchte nach Antworten auf die Frage, warum darstellendes Spiel in Palästina von Bedeutung sein könne. Mit Hilfe des darstellenden Spiels, so Barham, erhalten Kinder und Jugendliche eine Bühne um ihre Meinung, Gedanken, Sorgen, Ideen, Pläne, Träume zum Ausdruck zu bringen. Zu den Erfolgsgeschichten vom Al-Harah-Theater gehört die Geschichte einer Studentin in Kanada, die nun Pläne für ihre Rückkehr und den weiteren Aufbau des Landes schmiedet. Barham, die selbst zwei Master-Abschlüsse in Theaterregie und Theatermanagement aus Großbritannien vorweisen kann, hat einen Namen für dieses Ziel: Empowerment.

Eine dritte Dialogebene ergab sich aus den theaterpraktischen Debatten. Auch hier griff man auf die diskursiv-politische Ebene zurück. Jona-tan Stanczak vom Freedom Theater Jenin stellte in seinem Workshop etwa Theater als Tool zur Hervorbringung kulturellen Widerstandes dar. Auch wenn man seine Sympathie für Juliano Mer-Khamis und dessen Engagement sicherlich teilen mag, bleibt dennoch zu fragen, warum er einen so einseitigen Theaterbegriff vertritt. Nadine Giese spürte in ihrem Workshop hingegen dem Trend nach Spielformen ohne Rolle und Text im Gegenwartstheater nach. Andere Themen betrafen die Publikumsentwicklung im Stadttheater, unternehmerische Aspekte in den darstellenden Künsten, aber auch Theater für Auszubildende. Weitere thematische Schwerpunkte galten der Kooperation zwischen Kindergärten, Schulen und Institutionen sowie der theaterpädagogischen Ausbildung außerhalb der Hochschulen.

Nachdem eine Woche des Erfahrungsaustausches auf den genannten Dialogebenen zu Ende ging, bleibt die Abschlussdiskussion allen Beteiligten in Erinnerung. Von deutscher Seite brachten die Theaterpraktiker den Wunsch zum Ausdruck, ob man beim nächsten Mal vielleicht mehr als zwei Inszenierungen sehen könne. Zu viel der Worte seien gewechselt worden, ohne dass man sich im künstlerischen Schaffen wirklich näher gekommen sei. Dabei könne man doch ohne politisch-diskursive Implikationen vielleicht einfach direkt die praktisch-ästhetischen Probleme der alltäglichen Probenarbeit gemeinsam ergründen. Die anwesenden Praktiker der diversen palästinensischen Theater griffen die Idee auf und schlugen Kleingruppen vor, die getrennt voneinander in die Theaterorte Palästinas reisen sollten, um vor Ort einen solchen Arbeitsprozess erleben zu können. Dazu würde es sich anbieten, bei einheimischen Familien zu übernachten.

Am Ende sprach Marina Barham stellvertretend für ihre Kolleginnen und Kollegen aus, dass sie an Partnerschaft glaube. Sie gab Einblick in die Entwicklungen, welche sich in Schweden dank ihrer Bemühungen im Zugang zu den arabischen, türkischen oder iranischen Communities nunmehr entfalten. Damit unterstrich Barham das von den Veranstaltern als notwendig erachtete Anliegen, Interkulturalität als ein Praxisfeld in der theaterpädagogischen Ausbildung zu etablieren. Von dem einwöchigen Know-how-Transfer konnten ohne Frage beide Seiten profitieren. Und diesem Vorhaben kann man nur Erfolg wünschen.

Offen bleibt allerdings, wie man mit den Schwierigkeiten der Grenzen des erklärten Zieles einer „zivilgesellschaftlichen Einmischung" vor allem auf der politisch-diskursiven Dialogebene zurecht kommen möchte. Die Geschichte des deutsch-palästinensischen Verhältnisses zu eruieren, könnte dabei ein Schlüssel im Verständnis des Nahostkonfliktes sein. Einen ersten Einstieg ins Thema leistet der Streitschriftband von Georg Meggle „Deutschland, Israel, Palästina" (Hamburg, 2007).