Aktuelles

Palästinensischer-deutscher Dialog über Theater und Theaterpädagogik

Der Arbeitskreis Kirche und Theater in der Evangelischen Kirche in Deutschland und das Institut für Theaterpädagogik der Hochschule Osnabrück, in Lingen luden im April 2012 zusammen mit dem Dar al-Kalima College in Bethlehem, Palästina, Theaterkünstler und Theaterpädagogen, Theaterwissenschaftler und Theaterlehrer zu einer Konferenz über „Theater und Theaterpädagogik“ ein.

Alle wichtigen Theater in der Westbank kamen – aus Jenin, Ramallah, Bethlehem, Jerusalem und Hebron. Das Institut für Theaterpädagogik und der Arbeitskreis unterstützen den Aufbau des ersten Studienganges „Theaterpädagogik“ in Palästina, am Dar al-Kalima College. Die Konferenz, die vom GoetheInstitut gefördert wurde, soll ein lokales Netzwerk zwischen den Theateraktivitäten in Palästina aufbauen und eine Basis für die Theaterarbeit und die Tätigkeit von Theaterpädagogen entwickeln. Zugleich soll ein langfristiger Palästinensischer-Deutscher Dialog über Theater und Theaterpädagogik entstehen, mit Theater-, Dozenten- sowie Studentenaustausch und für gemeinsame Theaterprojekte. Ein Online Dossier über die Konferenz wird vorbereitet. Eine weitere Konferenz zu den Themen „Theatre of Relevance“ und „Vergleich von Curricula der Theaterpädagogik“ soll im Dezember 2012 in Deutschland stattfinden.

(Klaus Hoffmann, Vorsitzender des Arbeitskreises Kirche und Theater in der EKD www.theaterundkirche.de, hier sind auch die arabischen und englischen Fassungen des Artikels von Tahseen Yaqeen zu finden.)


 

Über die 1. Konferenz zum Palästinensisch-Deutschen Dialog schrieb Tahseen Yaqeen in der palästinensischen Tageszeitung Al-Ayyam, die in Ramallah erscheint, folgenden Bericht. Für die Übersetzung danken wir William Abu Dayyeh, Oldenburg.

 

Die Kraft des Theaters

von Tahseen Yaqeen

Das war für uns eine ganz besondere Tagung. Es ging um eine intensive geistige Auseinandersetzung mit den Themen Theater und Kunst. Daraus kann vielleicht etwas Neues geboren werden: eine andere Sprache und Denkweise, so wie auch Bäume immer wieder neue Früchte hervorbringen.

Nach den engagiert geführten Diskussionen eröffneten sich andere Sichten auf die großartige Theaterkunst: der Ursprung, der Vater jeder Kunst.

Die palästinensisch-deutsche Zusammenkunft bot uns als Theaterschaffende die Gelegenheit, sich grundsätzlich mit dem Thema Theater im weitesten Sinne zu beschäftigen: die Rolle des Theaters in der Gesellschaft und im Leben überhaupt; gerade in einer Zeit, in der das Materielle und die jeweiligen eigenen Interessen im Mittelpunkt stehen und das Geistige und Emotionale jedes Individuums, jeder sozialen Gruppe und auch die internationalen Beziehungen keine Bedeutung haben.

Insgesamt streben die Menschen nach mehr Profit, nach "Gold". Das ist ihr Lebensinhalt. Wir Künstler hingegen suchen nach dem Ursprung: In unseren Aussagen bewundern wir die Palmen, den Strand, die Kornähren und das Licht. Wir begnügen uns damit und erfreuen uns daran. Jeder Mensch hat sein "Gold".

Hier ist vielleicht die Tragik der darstellenden Künste und der Künstler zu sehen. Gerade die Künstler versuchen, andere Menschen von ihrer eigenen Lebensauffassung (nämlich ihrem "Gold") zu überzeugen. Das ist die menschliche Komödie, nein vielmehr Dante Alighieris` "Göttliche Komödie". Denn das ist die Kraft der Kultur, des Geistes, des Denkens, des Sinnes, der Künste, der Blumen, der Rosen, der Gesänge, der Liebespoesie, der Trauergedichte, der Farben, der Berührung, der Speise und der Narzissen.

Zwei Tage lang haben wir uns intensiv methodisch und didaktisch mit dem Thema Theater auseinandergesetzt. Anschließend hatten wir die Gewissheit, dass in unserem Kopf ein Drama entstanden ist. Wenn wir uns nun mit den Dramen von Tawfig al-Hakim[1] beschäftigen, dann stellen wir fest, dass wir sie gut lesen und vom Intellekt her auch verstehen können, aber sie nicht dazu geeignet sind, als Theaterstücke aufgeführt zu werden.

Wir trafen uns in der Akademie Dar al-Kalima[2] auf einer besonderen Theaterbühne. Theaterschaffende aus Palästina und Deutschland diskutierten ausführlich kulturelle Themen. Die Beiträge entsprangen einer inneren Haltung der gegenseitigen Zuneigung. Ehrliche Bemühungen, Spezialisierung und ein hohes philosophisches und humanes Denken prägten die Diskussionen. Wir haben also nicht "geschauspielert", sondern blieben authentisch, jeder in seiner eigenen Art; der Regisseur Sameh Hijazi mit seiner überzeugenden Argumentation erinnerte mich an die Arbeit auf einer Theaterbühne.

Der Theaterwissenschaftler Klaus Hoffmann sorgte mit seinen tiefgründigen Ausführungen für die Beruhigung unserer Seele. Mit seiner Denkweise, seinen Erfahrungen und schließlich mit seinen ambitionierten Plänen gelang es ihm, uns auf diesem Weg mitzunehmen. Wir fühlten uns so, als stünden Menschen um uns herum, die uns bei unserem Traum unterstützten.

Seit 1992 begann ich die Aktivitäten im Bereich des Theaters in unserem Land zu verfolgen. Das Treffen in Dar al-Kalima in Bethlehem war sowohl inhaltlich als auch organisatorisch sorgfältig vorbereitet und perfekt durchgeführt; ein einmaliges Ereignis, das sich auf die Teilnehmer sehr motivierend auswirkte.

Alle im Land, die etwas mit Theater zu tun haben, kamen zusammen: Institutionen, Theaterstätten, Akademien, Theaterorganisationen, Regisseure, Theaterkritiker und -pädagogen. Auch der Zeitpunkt dieser Veranstaltung war gut gewählt.

Es ging tatsächlich um "Theater und Theaterpädagogik".

Das strategische Ziel dieses Projekts besteht nicht nur darin, ein kommunikatives Netzwerk zwischen Palästinensern und Deutschen aufzubauen, sondern darüber hinaus sollen bestehende Aktivitäten im Bereich des Theaters genauer betrachtet werden. Bei ihrer weiteren Entwicklung soll Unterstützung und Hilfe angeboten werden.

Wir benötigen qualifiziertes Personal und eine zuständige Behörde zur Unterstützung der Theaterarbeit. Es ist unwichtig, ob die Qualifizierung von Akademien der schönen Künste, von Fortbildungseinrichtungen oder Berufsausbildungsstätten kommen. Diese Arbeit soll sich mit Inhalten, Übersetzungen und vor allem auch mit dem Theaterpublikum beschäftigen.

Die Anwesenheit eines für die Theaterangelegenheiten zuständigen Vertreters aus dem Ministerium für Kultur wäre für die Tagung wünschenswert gewesen. Er hätte aus den Beiträgen der deutschen Teilnehmer entsprechende Schlussfolgerungen ziehen können: z.B. wie man Theaterpädagogik lehrt, welche Vermittlungen man bei Theateraufführungen anbieten kann oder wie man Menschen zum Besuch des Theaters motiviert. Das Theater hat eben eine besondere Kraft und Ausstrahlung, mit der es das Publikum verzaubert.

Das Theater ist von der Fortbildung nicht zu trennen. Ashtar-, Al-Harah- und das Volkstheater arbeiten auf diese Weise. Ausgehend von diesem Ansatz hat z.B. das Al-Qasabeh-Theater eine Akademie speziell für Schauspielerinnen und Schauspieler gegründet. Auch Dar al-Kalima greift diesen Gedanken auf und baut einen Studiengang für Theaterpädagogik auf. Weitere Theaterstätten mit entsprechenden Angeboten sollten entstehen.

Zum Inhalt der Tagung

Unsere Beiträge waren lebensnah hinsichtlich der Inhalte der Theaterstücke, der Rolle des Theaters und der tragischen Schicksale mancher Theaterpersönlichkeiten: Der Gründer des Freedom Theatre, Juliano Mer-Khamis, starb als Märtyrer auf dem gesellschaftlichen und geistigen Altar; die Erfahrungen des Ashtar Theaters mit den Theatermethoden des „Theaters der Unterdrückten“des Brasilianers Augusto Boal, zielen auf gesellschaftlichen Wandel.[3]

Diese Beispiele spiegeln im Theater den Kampf um die nationale Befreiung wider. Daran beteiligten sich Schauspieler in Palästina und auch im Ausland. Es ist ein politisch motiviertes Theater gegen die Besatzung. Das Theater entstand nach dem Aufbau der palästinensischen Autonomiebehörde und hatte das Ziel, sich mit der gesellschaftlichen und politischen Demokratisierung zu beschäftigen.

Der Workshop fand statt im Rahmen einer Kooperation zwischen dem Dar al-Kalima College, dem „Arbeitskreis Kirche und Theater“ in der Evangelischen Kirche in Deutschland und der Fachhochschule Osnabrück / Institut für Theaterpädagogik in Lingen. Die Vereinigte Evangelisch-Lutherische Kirche in Deutschland und das Goethe Institut in Ramallah unterstützten diese Konferenz.

Schwerpunkt der Diskussion war der Versuch, die Basis für die Theaterarbeit, die Tätigkeitsfelder für Theaterlehrer und Theaterpädagogen in Palästina und in Deutschland auszubauen.

Die deutschen Beiträge zeugten von langjähriger Erfahrung in der theaterpädagogischen Arbeit und gaben gute Anregungen für eine zukünftige Theaterarbeit in Palästina. In den Gesprächen erfuhren wir viel über Möglichkeiten, Chancen und Grenzen des Theaters.

Wir haben wichtige Themen des Theaters behandelt, wie verwandte Künste, Literatur, Kommunikation und Planung, neben Themen wie Schauspiel, Improvisation, Körpersprache, Tanz und Musiktheater. Auch Bereiche der kulturellen und geistigen Bildung wurden erörtert.

Ich hätte mir noch intensivere Diskussionen gewünscht über die Geschichte der Philosophie, gesellschaftliche und politische Veränderungen, die Geschlechterrollen, nationale Fragen, Psychologie und Soziologie. Insbesondere das Thema " Kunst und Gesellschaf" ist für die Inhalte der Theaterarbeit in unserem Land von großer Bedeutung. In diesem Zusammenhang ermöglicht das Erlernen von Sprache (insbesondere der englischen) "das Öffnen von Fenstern nach außen, um Luft zu atmen". Das Theater ist sowohl der Vater der Kunst als auch der Sohn des Geistes.

Wir müssen uns zunächst auf die Ausbildung der Künstler konzentrieren und später für ihre Fortbildung sorgen. Es gibt keine Kunst ohne den Erwerb von Kenntnissen, ohne die Betrachtung der Wirklichkeit und die Wahrnehmung des Menschen mit seinen Problemen.

Das angestrebte Ziel des Workshops wurde wahrhaftig erreicht. Das zeigte sich am Engagement der Diskussionsteilnehmer, ihrer Liebe zum Theater und ihrem Glauben daran. Kunstschaffende kamen mit Theaterlehrern zusammen, um den Stellenwert und den Einfluss des Theaters auf das Leben zu diskutieren. Dabei wurde die Rolle des Theaters bei der Entwicklung des Individuums und der Gruppe in der Gesellschaft beleuchtet. Es wurde erörtert, wie man die vielen Bildungsbenachteiligten in der Bevölkerung erreichen kann. Letztendlich geht es darum, ein besseres Zusammenleben der Menschen zu ermöglichen.

Die deutschen und palästinensischen Teilnehmer formulierten ihre Beiträge mit großer Überzeugung. Wir konnten uns in die Denkweise anderer Menschen hineinversetzen. Beruf oder Position der Teilnehmer spielten keine Rolle. Während der Tagung fühlten wir uns frei und einander nahe. Es herrschte ein liebevoller, demokratischer Geist, der die Vielfalt der Meinungen und der Werte respektierte. Wir waren bereit, uns gegenseitig zu tolerieren und stets offen zu sein für andere Auffassungen. Es fand ein reger Erfahrungsaustausch statt. Am Ende wurde uns die Rolle deutlicher, die Kunst und Kultur im Leben und in der Gesellschaft überhaupt spielen.

Kann das Theater das Leben wirklich verbessern? Und wie verhält es sich mit den Schwierigkeiten und dem Leiden? Zu diesen Fragen berührten uns die Ausführungen des Theaterwissenschaftlers Klaus Hoffmann im Geist und im Herzen. Er stellte die theatralischen und künstlerischen Sachverhalte in einen intellektuellen Kontext. Dabei unterstrich er die Rolle der Kunst in Zeiten des Leidens. Theater kann Hoffnung auf eine bessere Zukunft wecken.

Es wäre erstrebenswert, den Kreis der Teilnehmer und die Anzahl der Gesprächsforen zu erweitern. Dabei sollten die Themen Theater, Theaterstück und Theaterbühne noch intensiver behandelt werden. Alle, die an gesellschaftliche Veränderungen glauben wie z.B. Schauspieler, Theaterverantwortliche und Intellektuelle, sollten an solchen Tagungen teilnehmen. Hier besteht die Möglichkeit zu diskutieren, wie man wirkungsvoll auf politische und gesellschaftliche Veränderungen reagieren kann. So wird das Theater präsent sein; es ist Übersetzer und Motor mit einer besonderen Ausstrahlung. Erst dann hat das Theater die Kraft, die wir alle anstreben.

Wir kamen nicht nur zusammen, um über die Schauspielkunst zu sprechen, sondern vielmehr, um über die Rolle des Theaters zu diskutieren. Die Kunst hat erst dann ihre Berechtigung, wenn sie Interesse bei den Menschen weckt, indem sie ihre Fragen für wichtig hält und in ihre Arbeit aufnimmt. Insbesondere Individuen wie auch Seelen und Blumen sollen dabei in ihrer Bedeutung erkannt werden. Das ist das wahre Theater, das die Probleme der Welt auf der Bühne zum Ausdruck bringt.

Ich verfolge seit zwei Jahrzehnten die Theaterarbeit. Als Theaterkritiker sah ich seitdem zahlreiche Theateraufführungen und habe besonders auf das Künstlerische und Inhaltliche geachtet. Daraus konnte ich eine gewisse Strategie ableiten.

Ich habe nämlich bald die Rolle des Dramas zwischen der ersten und zweiten Intifada[4] erkannt. Während der Aufbauphase der Autonomiebehörde konnte jeder neutrale Betrachter die Arbeit der Theaterschaffenden gut beurteilen. Sie war authentisch, indem sie die wahren Probleme der Menschen auf der Bühne dargestellt und Lösungen angeboten hat. Später wurde von diesem Weg abgewichen. Das bleibt unverständlich und ist nicht zu rechtfertigen. Es wurden nur die Wünsche der Förderer erfüllt und gesellschaftspolitisch die Autonomiebehörde unterstützt.

Ich behaupte, dass wir durch den palästinensisch-deutschen Dialog zum Thema Theater wichtige Erkenntnisse gewonnen haben.

Die geistige Auseinandersetzung damit bestärkte in uns die Überzeugung und die Hoffnung, dass die Kunst, ausgehend von unseren wirklichen Problemen, die Wahrheit widerspiegeln muss. Voraussetzung ist, dass die Probleme der Menschen aufgegriffen werden. Dies kommt auf der Theaterbühne durch die Form der Darstellung und durch den Inhalt zum Ausdruck.

Das Theater kann erst dann richtig existieren, wenn die Kunst eine ausgezeichnete Fortentwicklung der Form und des Inhaltes erfährt. Diese beiden Merkmale ermöglichen eine Veränderung in der Gesellschaft.

Nun ist die Aufgabe des Theaters deutlich geworden. Das Theater spielt eine heilige und edle Rolle im Zusammenleben der Menschen, auch im Hinblick auf die Verbesserung ihrer Lebensqualität. Damit ergänzt es die Arbeit anderer Institutionen in der Gesellschaft. Es ist klar geworden, dass Kunst, Künstler, Pädagogen und Intellektuelle ein gemeinsames Ziel haben. Daher ist ihre Zusammenarbeit zwingend notwendig.

Vielleicht bildet das angestrebte Netzwerk zunächst den Ausgangspunkt einer Kooperation unter den palästinensischen Theaterschaffenden. Dann kann die Zusammenarbeit mit den deutschen Partnern folgen.

1 - Ägyptischer Dramenautor, 1898-1987 (A. d. Ü.)

2 - Haus des Wortes (A. d. Ü.)

3 - Al-Mudatahideen, Unterdrückungsopfer (A.d.Ü.)

4 - Aufstand der Palästinenser gegen die israelische Besatzungsmacht: 1. Intifada 1987-1993, 2. Intifada 2000-2005 (A. d. Ü.)