Die Gaza Monologe

Grenzüberwindung und Selbstbestimmung

Dialog zwischen Theatern und Theaterpädagogen aus Deutschland und Palästina wird fortgesetzt.
Lingen/Hannover/Frankfurt – Ramallah/Bethlehem
Um drei Uhr morgens trifft die deutsche Delegation des Palästinensisch-Deutschen Netzwerkes Masrah.Theater.Net am Sonntag, den 10. Mai müde, aber erwartungsvoll am Flughafen in Tel Aviv ein. Dort wartet bereits der Fahrer, der die Fünf- Mann- und Frau- Starke Gruppe sicher durch die Check-Points nach Ramallah, Palästina bringt.

Das Ashtar Theater hat zu einem Festival mit dem Thema „Theater der Unterdrückten“ eingeladen.  Dieser Einladung folgten Klaus Hoffmann, Hannover, Vorsitzender des Arbeitskreises Kirche und Theater in der Evangelischen Kirche in Deutschland, Prof. Dr. Florian Vaßen, Hannover, Mit-Herausgeber der Zeitschrift für Theaterpädagogik Korrespondenzen, Bettina Tonscheidt,Frankfurt, Theaterlehrerin und Mitglied des Landesverbands Schultheater Hessen, Jörg Meyer, Lingen, Dozent und Studiengangs-Beauftragter am Institut für Theaterpädagogik der Hochschule Osnabrück und Theaterpädagogik-Studentin Nina Hensel.

Nach einer kurzen Nacht und einem ausgiebigen Falafel-, Hummus- und Minztee- Frühstück wurde Ramallah, die neue Hauptstadt Palästinas, die rasant wächst, erkundet und es folgten 6 intensive Tage, in denen gemeinsam diskutiert, gespielt, geschaut wurde.

Von Links: Klaus  Hoffmann, Bettina Tonscheidt, Nina Hensel, Florian Vaßen, Jörg Meyer
Von Links: Klaus  Hoffmann, Bettina Tonscheidt, Nina Hensel, Florian Vaßen, Jörg Meyer

Aus Berlin, Griechenland und Palästina zeigten Theatergruppen Forum-Theaterstücke ,nach der Methode des brasilianischen Theatermanns Boal, der mit seinem Theater dem Volk eine Stimme geben will und bei dem alle gemeinsam lernen sollen, Zuschauer wie auch die Schauspieler. Es ging um Arbeitslosigkeit Jugendlicher, die Probleme  palästinensischer Bauern unter israelischer Besatzung im Jordantal, Frauendiskriminierung. Dazu wurden Workshops und Symposien zum Theater der Unterdrückten angeboten.

In Bethlehem unterrichteten die Lingener Theaterpädagogen an einem Tag auch  am Dar Al Kalima University College und in einer Konferenz wurde mit den palästinensischen Theatern und den Hochschulen über die bisherige und zukünftige Zusammenarbeit diskutiert. Im Fokus stand dabei die Fortführung des Palästinensisch-Deutschen Dialogs, der 2010 von dem Theaterwissenschaftler Klaus Hoffmann, dem Präsidenten des Dar Al Kalima University College, Reverend Mitri Raheb und der Dekanin Nuha Khoury aufgenommen wurde und seitdem von zahlreichen Theatern und Theaterpädagogen aus Deutschland und Palästina fortgeführt und intensiviert wird.

Ziel dieses Netzwerkes ist es Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen Theater als Mittel zur Selbstbestimmtheit und Selbstentwicklung zu ermöglichen und durch interkulturellen Dialog Verständigung, Solidarität und Zusammenarbeit zu fördern.

Theaterpädagogik hat in Deutschland in den letzten Jahren eine rasante Entwicklung gemacht. Sie hat einen festen Platz in der Schule und in kulturellen Institutionen, aber auch in sozialen Einrichtungen oder sogar in Heilberufen. In der palästinensischen Gesellschaft bekommen Kunst und Kultur heute einen großen Stellenwert. Obwohl die Menschen unter dem nicht enden wollenden Konflikt leiden, sind Kunst und Kultur kein überflüssiger Luxus. Im Gegenteil, sie sind für die Frage nach Würde, nach Selbstbestimmung und Identität überlebensnotwendig. Gerade im Theater kann kommuniziert werden, wer man ist und wer man sein will. Außerdem ist Theater auch eine Brücke zwischen Palästina und der übrigen Welt.

Dabei wollen die Theatermacher beider Länder von- und miteinander lernen, sich inspirieren und gegenseitig fördern. Konkret bedeutet das: gemeinsame Austauschprojekte, Co-Produktionen, Lehrkräfte-Austausch, Symposien, Konferenzen, Gastspiele und vieles mehr.

Von palästinensischer Seite erschienen zu dem Treffen im Dar Al Kalima University College Edward Muallem und Iman Aoun Leiter des Ashtar Theaters in Ramallah, Sameh Hijazi, Studiengangs-Beauftragter für Theater des Dar Al Kalima College in Bethlehem,  Mohamed Issa, Direktor des Yes Theater in Hebron, Marina Barham, Direktorin des Al-Harah Theaters in Beit-Jala und Rami Khader, Direktor des Diyar Dance Theatre in Bethlehem. Außerdem war das Goethe Institut vertreten durch die Leiterin Laura Hartz und Programmkoordinator Furat Ibrahim und die in Berlin lebende Brasilianerin und Boal- Expertin Bárbara Santos, die mit ihrer Frauen- Gruppe Madalenas bei dem Festival aufgetreten war.

Das Ziel des diesjährigen Netzwerktreffens war es, die bisherige Zusammenarbeit zu reflektieren und einen gemeinsamen Wegweiser für die Zukunft zu entwickeln.

Masrah.Theater.Net hat sich in den letzten Jahren stetig vergrößert und gefestigt. Auf diese Weise sind bereits vielfältige Kooperationen zwischen Theatern in Palästina und Deutschland zu Stande gekommen. Neben dem Austausch von Lehrkräften und Studenten beider Länder, wurden auch Theatergruppen aus Palästina nach Deutschland eingeladen. So nahm das Yes Theater am 13. Welt-Kindertheater-Fest in Lingen teil, das Ashtar Theater tourte mit dem Stück „Die Gaza Monologe“ mit der KinderKulturKarawane durch Deutschland, das Diyar Dance Theatre trat im Rahmen des fairCulture- Festivals im Staatstheater Hannover auf und Tarek Zboun von Red Noses Palestine wurde zum Drama Kongress des gemeinsamen Partners Verein für Zeitgenössisches Drama in die Türkei eingeladen.

Diese erfolgreiche Zusammenarbeit sollte weitergeführt und verbessert werden.

Ein wichtiger Schritt war, eine gleichberechtigte Zusammenarbeit auf Augenhöhe zu entwickeln. Die Selbstbestimmung, die sich auch auf der Bühne zeigte, war hier ein wichtiger Faktor, der zu angeregten Diskussionen führte. Nach vielfältigen Vorschlägen, Abwägungen, Diskussionen und Brainstormings entschieden sich die Teilnehmenden gemeinsam für ein offenes Netzwerk-Modell, das jederzeit durch neue Mitglieder ergänzt und erweitert werden kann. Man einigte sich auf die Schwerpunkte Theater für und mit Kindern, Theater für und mit Jugendlichen, Theaterpädagogik als Studiengang und Theater an Schulen.Kinder und Jugendliche spielen in Palästina eine besondere Rolle. 50% der Bevölkerung in der Westbank sind unter 18 Jahre alt, im Gazastreifen sogar unter 15 Jahren.

Nachdem dieser wichtige Schritt eines gemeinsamen Selbstverständnisses getan war, wurden Pläne für gemeinsame Projekte wie Co-Produktionen, Austausche und Konferenzen geschmiedet und neue persönliche Kontakte geknüpft.

Die ersten nachhaltigen Erfolge des Netzwerkes zeigen sich in den  Palästinensisch Deutschen Kooperationen, aber auch in der Zusammenarbeit der palästinensischen Theater untereinander, die in den letzten Jahren vermehrt Co-Produktionen und gemeinsame Festivals organisieren und sich gegenseitig zu Gastspielen einladen.

Auch wurde der diesjährige Austausch erstmalig von palästinensischer Seite mit finanziert, was die Wichtigkeit des Austauschs für beide Seiten verdeutlicht und den Willen gemeinsam die Zukunft zu gestalten hervorhebt.
Auch universitär war das Treffen ein Erfolg, da der bereits seit längerem geplante Aufbau eines Bachelor-Studiengangs Theaterpädagogik am Dar Al Kalima College endlich gesichert scheint.

Nachdem Sameh Hijazi und beratend Jörg Meyer einen Lehrplan für einen vierjährigen Bachelor entwarfen, der auch interdisziplinär mit den anderen Kunststudiengängen der Dar Al Kalima Hochschule, wie bildender Kunst, Film und Musik zusammenarbeitet, wurde der Lehrplan nun zur Akkreditierung vorgelegt und bildet so auch den Grundstein für künftige studentische Austauschprogramme.

Ein weiterer wichtiger Schritt war es ein Palästinensisch-Deutsches Koordinatoren-Team zu wählen, das sich regelmäßig austauscht und trifft um Strategien zu entwickeln und sich über Neuigkeiten in beiden Ländern auf dem Laufenden zu halten. Dieses Team, bestehend aus Iman Aoun, Sameh Hijazi, Klaus Hoffmann und Andreas Poppe, soll den Kollegen im eigenen Land als Ansprechpartner und denen im jeweils anderen Land als Informanten dienen.

Weiterhin will das Netzwerk auch andere Theatermacher beider Länder und in Zukunft auch aus anderen arabischen Ländern ansprechen und miteinander in Kontakt bringen, um auch in Zukunft Emanzipation, Teilhabe und Entwicklung durch Theater und Theaterpädagogik zu fördern und zu verbreiten.

Und während es für die deutsche Delegation nach sechs bewegten und bewegenden Tagen erstmal „Goodbye“ heißt, heißt es für das Netzwerk „See you soon @ masrah-theater.net!

Nina Hensel