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Die augenblickliche Situation des palästinensischen Theaters, seine Ziele, seine weitere Orientierung, Bestrebungen und vor allem die dazu gehörenden Herausforderungen

von Iman Aoun
Wenn wir über das palästinensische Theater sprechen, müssen wir auch in diesem Zusammenhang den Beitrag aller Palästinenser zur Theaterarbeit mit berücksichtigen. Gemeint sind die Palästinenser, die im historischen Palästina und auch die, die im heutigen Israel leben. Die Kulturarbeit hat das Ziel, im Gegensatz zur Politik, die verschiedenen palästinensischen Gruppen zusammenzuführen.

In meinen Ausführungen beschränke ich mich auf die West Bank.

In einem Land, in dem die Menschen täglich unter völkerrechtswidrigen Besatzungsmaßnahmen leiden, bleibt dem Einzelnen nur über das Theater die Möglichkeit, seinen Willen, sein Freiheits- und Unabhängigkeitsbedürfnis zum Ausdruck zu bringen. Nur ein freier Mensch kann ein unabhängiges Land aufbauen.

Das palästinensische Theater benüht sich, einen Beitrag zur inneren Freiheit des Menschen zu leisten. Erst dann lernt der Mensch, der Unfreiheit etwas Positives entgegenzusetzen.
Um dieses Ziel zu erreichen, wurde seit den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts die Theaterarbeit besondrs unter den palästinensischen Jugendlichen verstärkt.

Aber seit Anfang des 21. Jahrhunderts begann das palästinensische Theater sich mit Themen zum Aufbau einer Zivilgesellschaft zu beschäftigen. Es wurde mehr Aufklärungsarbeit unter der Bevölkerung geleistet, um zu unterstreichen, wie wichtig Theater für die Gesellschaft ist. Die Internationalen Organisationen waren zunächst zurückhaltend, diese Theaterarbeit zu unterstützen. Die Folge war, dass diese Arbeit eingeschränkt wurde und in finanzielle Not geriet.

Dieser Prozess hat sowohl positive als auch negative Auswirkungen gehabt. Durch die Hilfe ausländischer Fachkräfte entstanden einerseits neue, moderne und vielfälltige Theateraktivitäten, andererseits entwickelte sich keine Theaterwissenschaft, weil die Experten fehlten.Das Gleiche gilt für die Literatur und die Kunst in Palästina.
Die Theaterarbeit beschränkte sich auf die größeren Städte und dort überwiegend auf Schulen.

Durch die Theaterarbeit in der Schule bekommt das Thema „Theater“ einen größeren Stellenwert in der Lehrerschaft, der Schülerschaft und der Bevölkerung. Diese Theateraktivitäten leisten einen wichtigen Beitrag zur Persönlichkeitsbildung der Schüler sowohl intellektuell als auch sozial.

Dies alles fehlt in unseren Schulen, weil das Kultusministerium bis jetzt nicht bereit ist, das Fach „Theater“ zu einem selbständigen Bestandteil des Schulcurriculums zu erklären. Dieser Bereich wird nur im Rahmen des Kunstunterrichts behandelt.

Für das Fach Drama hat das Ashtar-Theater in Ramallah im Auftrage des Kultusministeriums für die Klassen eins bis sechs Rahmenrichtlinien erstellt. Diese Lerninhalte werden leider nur an Privatschulen umgesetzt und zwar mit positiver Auswirkung auf die Schüler.

Es fehlen palästinensische Schriftsteller, die die Arbeit literarisch unterstützen. Eine Anzahl von Versuchen und Bemühungen gibt es zwar, sie bleiben aber von kurzer Dauer und ohne nachhaltige Entwicklung. Hier ist die akademische Unterstützung erforderlich.

In letzter Zeit kann man Bemühungen in dieser Richtung verzeichnen. Es geht nicht nur um das Schauspiel, sondern vielmehr um die verschiedenen Fähigkeiten und Berufe, die mit Theateraufführungen zu tun haben.
Für die Theaterarbeit fehlen geeignete Fachkräfte (zum Beispiel für Ton-, Licht-, und Bühnentechnik, Kostüme).
Zur nachhaltigen Entwicklung der Theaterarbeit gehören ein effektives Management und Öffentlichkeitsarbeit.

Die kaum vorhandene Infrastruktur und die unbefriedigende Ausstattung der Theatereinrichtungen sind nicht dazu geeignet, flächendeckend Theaterarbeit zu betreiben. Die Arbeit bleibt daher weitgehend auf die fünf Städte – Jerusalem, Ramallah, Bethlehem, Jenin und Hebron – beschränkt. Der ungeklärte politische Status von Jerusalem kommt erschwerend hinzu. Die West Bank ist faktisch und politisch vom Gaza-Streifen getrennt. Aus politischen Gründen können die palästinensischen Theatergruppen, die sich in Israel befinden, nicht mit in die Theaterarbeit der West Bank einbezogen werden.

Für eine erfolgreiche Theaterarbeit ist zum Schluss folgendes zu nennen:

  • Globale Vernetzung
  • Konzentration auf Theaterarbeit in der Schule
  • Qualitätsstandards anstreben

Diskussionsbeitrag von Iman Aoun, künstlerische Leiterin des Ashtar-Theaters in Ramallah, für die Diskussion in Hannover im März 2013.
Abschrift des Manuskripts von Herwig Lewy, Leipzig, den 27. Juli 2014.